GKV-Versorgungsstrukturgesetz

1. Off-Label
Die Möglichkeit der Off-Label Behandlung ist jetzt gesetzlich festgelegt. Der Versicherte kann außerhalb seines Leistungsanspruchs in der GKV bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der GKV beanspruchen. Voraussetzung ist, dass eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Entwicklung des Krankheitsverlauf durch die Behandlung angenommen werden kann. Dies ist wie bisher medizinisch zu belegen. Diese Gesetzeslücke hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem sog. Nikolaus-Beschluss vom 06.12.2005 (Az. 1 BvR 347/98) aufgezeigt und mit dieser Regelung geschlossen.
Das Regressrisiko kann reduziert werden, wenn vor Behandlungsbeginn beim zuständigen Kostenträger eine Kostenübernahmeerklärung eingeholt wird (hatten wir in der Praxis, soweit möglich, allerdings „sowieso“ schon gemacht). Es verbleibt das Problem, dass es in der Praxis manchmal sehr schnell gehen muss.


2. Delegation ärztlicher Leistungen auf nichtärztliche Personen
Nach 28 Abs. 1 Satz 3 SGB V sollen die Partner der Bundesmantelverträge einen beispielhaften Katalog ärztlicher Leistungen, die von nichtärztlichem, medizinisch qualifiziertem Hilfspersonal auf Veranlassung erbracht werden können, bis zum 30.06.2012 erarbeiten. Hintergrund ist eine Entlastung der vertragsärztlichen Leistungserbringer. Allerdings gibt es in der Praxis dazu bereits gerichtlich aufgestellte Regeln, so dass auch hier von einer gesetzlichen Klarstellung der Rechtsprechung – die begrüßt wird - auszugehen ist. Der Bewertungsausschuss wird für solche Leistungen gem. § 87 Abs. 2b Satz 5 SGB V Vergütungsregelungen treffen.


3. Heilmittelverordnungen
Im Bereich der Heilmittelverordnungen erlaubt § 32 Abs. 1a SGB V die längerfristige vorherige Genehmigung von Heilmittelverordnungen auf Antrag von Versicherten mit längerfristigem Behandlungsbedarf durch den jeweiligen Kostenträger. Der Kostenträger muss über den Antrag des Versicherten innerhalb von vier Wochen entscheiden, anderenfalls gilt die Genehmigung als erteilt. Der Behandler hat kein Antragsrecht. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung für diese genehmigte Heilmittelverordnungen entfällt nach § 106 Abs. 2 letzter Satz SGB V und damit auch ein möglicher Regress für vertragsärztliche Leistungserbringer für nach § 32 Abs. 1a SGB V genehmigte Heilmittelverordnungen.


4. Verbot der entgeltlichen Patientenzuweisung
Der Gesetzgeber hat das Verbot der entgeltlichen Patientenzuweisung gestärkt, indem er das bestehende berufsrechtliche Verbot der entgeltlichen Patientenzuweisung in das Vertragsarztrecht eingefügt hat (§ 73 Abs. 7 SGB V).

5. Termine beim Facharzt
Gesetzlich Versicherten ist zeitnaher Zugang zur fachärztlichen Versorgung gem. § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V zu gewähren. Die Bundesmantelvertragspartner sollen „zeitnah“ konkretisieren.


6. Vertragsärztliche Vergütung
Der Bewertungsausschuss entscheidet, ob die vertragsärztliche Vergütung pauschaliert als Versichertenpauschale oder als Einzelleistungsvergütung normiert wird.

Ab- und Zuschläge auf den Punktwert (Orientierungswert) durch den Bewertungsausschuss zur Steuerung des Niederlassungsverhaltens entfallen (mit Ausnahme bestimmter regionaler Besonderheiten). Durch Zuschläge auf den Orientierungswert in unterversorgten Planungsbereichen soll die Versorgung der Versicherten verbessert werden (Einzelheiten müssen noch entwickelt werden).
Die bundeseinheitlichen Vorgaben zur Verteilung der Gesamtvergütung in Form von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina werden mit dem GKV-VStG aufgegeben.

Die jeweilige KV wird auf der Grundlage des § 87b Abs. 2 SGB V eigene Maßnahmen zur Begrenzung der vertragsärztlichen Tätigkeit in ihrem Verteilungsmaßstab festlegen und im Benehmen mit den Landesverbänden der Kranken- und Ersatzkassen beschließen. Kooperative Behandlungsformen sind zu berücksichtigen. Die KV wird ermächtigt, von ihr anerkannte vernetzte Praxen aus der Vergütungssystematik herauszulösen und Vergütungsregelungen dafür festzulegen. Dieses Recht schließt einen eigenen Honorartopf innerhalb der Gesamtvergütung ein.

Vertragsärztliche Leistungserbringer in unterversorgten Planungsbereichen sind gem. § 87b Abs. 3 Satz 1 SGB V von der Mengensteuerungsregelung ausgenommen.


7. Medizinische Versorgungszentren (MVZ)
Als Gründer und Gesellschafter eines MVZ kommen nur zugelassene Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen oder gemeinnützige Träger, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, in Betracht. Damit sind Heil- und Hilfsmittelerbringer, Apotheker usw. als Gesellschafter nunmehr ausgeschlossen. Die Rechtsform ist beschränkt auf Personengesellschaften, eingetragene Genossenschaften oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Am 01.01.2012 bereits zugelassene MVZs genießen unbefristeten Bestandsschutz.

Der ärztliche Leiter muss selbst im MVZ als Arzt tätig sein. Soweit noch nicht erfüllt, muss bis spätestens zum 30.06.2012 eine Umsetzung der gesetzlichen Regelung erfolgt sein. Hier handelt es sich lediglich um eine Klarstellung des alten Gesetzestextes.

Liegen bei einem MVZ Stimm- und Gesellschaftsanteilen nicht mehrheitlich in der Hand von Ärzten, werden diese MVZ in einem Ausschreibungs- und Nachbesetzungsverfahren um eine vakante Zulassung nachrangig berücksichtigt. Dies gilt nicht für MVZs, die bis zum 31.12.2011 mehrheitlich in der Hand von Nichtärzten standen (ob diese Differenzierung rechtmäßig ist, wird die Zukunft zeigen).

Eine weitere Zulassung darf künftig nur dann in ein MVZ aufgenommen werden, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegen stehen. Damit scheitert die Verlegung eines Vertragsarztsitzes, wenn das Abwandern der Zulassung in ein MVZ eine Versorgungslücke hinterlässt.

8. Bedarfsplanungsrechtlich relevante Arztstellen/angestellte Ärzte
Nach § 95 Abs. 9b SGB V ist die Rückumwandlung einer bedarfsplanungsrechtlich relevanten Arztstelle in eine Zulassung möglich. Die Übernahme einer Zulassung im Wege des Zulassungsverzichts mit anschließender Anstellung nach § 103 Abs. 4a oder 4b SGB V führt daher nicht mehr zu einer Arztstelle, die dauerhaft mit angestellten Ärzten zu besetzen ist. Damit bleibt die Arztstelle grundsätzlich verkehrsfähig (dies muss man künftig in Anstellungsverträgen berücksichtigen).

9. Bedarfsplanung
Regionale Flexibilisierungen in der Bedarfsplanung sollen künftig möglich sein. Bis zum 01.01.2013 sollen die regionalen Planungsbereiche neu festgelegt werden. Folge davon kann die Entstehung neuer Vertragsarztsitze sein. Versorgungsangebote nach § 116b SGB V sind dabei zu berücksichtigen ebenso wie ermächtigte Krankenhausärzte. Die KV können nach § 105 Abs. 3 SGB V in überversorgten Planungsbereichen Arztpraxen aufkaufen. Der abgebende Vertragsarzt muss dafür von einem Nachbesetzungsverfahren absehen.

10. Ausschreibung und Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes
Die Auswahlkriterien, die von den Zulassungsgremien nach § 103 Abs. 4 SGB V bei der Auswahlentscheidung im Nachbesetzungsverfahren zu berücksichtigen sind, werden erweitert:

  • wenigstens fünf Jahre Tätigkeit in einem unterversorgten Planungsbereich

  • Erfüllung besonderer Versorgungsbedürfnisse

Das bisherige Ausschreibungs- und Nachbesetzungsverfahren eines vakanten Vertragsarztsitzes wird ab 01.01.2013 durch ein weiteres Verfahren ergänzt. Der Zulassungsausschuss muss vor der Durchführung eines Ausschreibungs- und Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a SGB V in einem gesonderten Antragsverfahren feststellen, ob der Vertragsarztsitz nachbesetzt wird. Die Kriterien dafür werden nicht genannt. Verweigert der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes, kann der Betroffene lediglich den Verkehrswert der Praxis quasi als Schadensersatz geltend machen. Die Nachbesetzung darf nicht abgelehnt werden, wenn der Nachfolger Ehegatte, Lebenspartner, Kind, angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes ist oder mit dem bisherigen Vertragsarzt die Praxis gemeinschaftlich geführt hat (Problem bei Partnern einer BAG).

11. Wirtschaftlichkeitsprüfungen/Regress
Ist der Regress möglich, ist zunächst eine Beratung obligatorisch. Erst im Wiederholungsfall nach der Beratung kann ein Regress festgesetzt werden.

12. Prä- und poststationäre Versorgung, ambulante Operationen
Nach § 115a Abs. 1 Satz 2 SGB V können prä- und poststationäre Versorgung von den Krankenhäusern durch Vertragsärzte – sogar in deren Praxen - erbracht werden. Es muss eine gesonderte Beauftragung vorliegen (Achtung: Die Zuweisung von Patienten gegen Entgelt ist noch immer, jetzt sogar durch Gesetz, verboten).

Ambulante Operationen nach § 115b SGB V können Krankenhäuser zukünftig auch kooperativ mit Vertragsärzten erbringen. Der AOP-Vertrag muss noch entsprechend geändert werden. Die ursprünglich auch für 2012 vorgesehene Deckelung der ambulanten Operationen, die Vertragsärzte anbieten, entfällt.

13. Ambulante spezialfachärztliche Versorgung
Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b SGB V führt einen neuen Versorgungssektor ein. Sie bezieht sich auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Die im Gesetz genannten Erkrankungen sind nicht abschließend. Die konkrete Ausgestaltung obliegt dem GBA.
In Abänderung zum bisherigen § 116b SGB V steht dieser Leistungssektor Krankenhäusern und Vertragsärzten offen. Die Qualitäts- und Ausstattungsanforderungen sind für Krankenhäuser und Vertragsärzte die gleichen. Eine Bedarfsprüfung entfällt.
Die Vergütung der Leistungen erfolgt unmittelbar durch die Kostenträger.

14. unzulässige Zuwendungen von Leistungserbringern

Nach § 128 Abs. 2 SGB V ist der vom BGH anerkannte verkürzte Versorgungsweg nicht mehr zulässig. Auch Schulungsmaterialien usw. dürfen nicht mehr ohne entsprechende angemessene Gegenleistung zur Verfügung gestellt werden. Die Beteiligung an einem Unternehmen dessen Einkünfte Vertragsärzte maßgeblich beeinflussen, ist unzulässig. Mit dieser Regelung wurde eine Lücke geschlossen, die in der Vergangenheit genutzt wurde, um Zuweisungen zu belohnen.


15. Befristete Zulassung
Die befristete Zulassung ist nach § 19 Abs. 4 Ärzte-ZV zulässig.

16. Nebentätigkeiten eines Vertragsarztes/Anstellung

Das Recht zur Nebentätigkeit eines Vertragsarztes ist erweitert worden. Konnten Vertragsärzte mit einem Vollversorgungsauftrag in der Vergangenheit einer Nebentätigkeit mit max. 13 Wochenstunden, bei einem halben Versorgungsauftrag einer Nebentätigkeit mit max. 26 Wochenstunden nachgehen (Praxis der Zulassungsausschüsse nach Rechtsprechung durch das BSG), soll nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV der zulässige Umfang der Nebentätigkeit künftig auch die zeitliche Lage der Nebentätigkeit berücksichtigen. Die Nebentätigkeit kann danach nach der Sprechstunde übernommen werden. Sie kann dann 13 bzw. 26 Wochenstunden überschreiten.


17. Residenzpflicht
Die Residenzpflicht des Vertragsarztes entfällt.

18. Zweigpraxis
Die Gründung einer Zweigpraxis wird erleichtert. Eine geringfügige Beeinträchtigung der Versorgung der Versicherten am Hauptstandort der Praxis ist zulässig, wenn diese Beeinträchtigung durch die Versorgungsverbesserung am Standort der Zweigpraxis aufgewogen wird. Die Zweigpraxis darf auch Leistungen anbieten, die nicht am Hauptstandort angeboten werden.


19. Verlegung eines Vertragsarztsitzes
Bisher mussten die Zulassungsgremien dem Antrag auf Verlegung eines Vertragsarztsitzes in der Regel stattgeben. Nach § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV darf der Zulassungsausschuss die Verlegung eines Vertragsarztsitzes künftig nur dann genehmigen, wenn feststeht, dass die vertragsärztliche Versorgung durch die Verlegung nicht zu einer Versorgungslücke führen wird.


20. Vertretung eines Vertragsarztes
Eltern werden künftig intensiver berücksichtigt. Eine Vertragsärztin kann sich künftig in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Entbindung bis zu zwölf Monate (bisher nur sechs Monate) vertreten lassen. Eine Vertretung ist zum Zwecke der Kindererziehung bis zu 36 Monate, die nicht zusammenhängend in Anspruch genommen werden müssen, zulässig. Bei zu pflegenden Angehörigen ist eine Vertretung bis zu sechs Monaten zulässig.


Eva Wehmeyer, 23.01.2012